Einleitung: Im Vergleich mit der traditionell non-selektiven („vollständigen“) Exkavation reduziert eine selektive („inkomplette“) Kariesentfernung bei tiefen Läsionen das Risiko der Pulpaeröffnung und post-operativer pulpaler Komplikationen. Daher ist es von Interesse, ob auch Zahnärzte in der Praxis Karies selektiv entfernen und welche Faktoren für die genutzte Therapie einer tiefen Karies von Relevanz sind. Insgesamt gibt es weltweit nur wenige Studien zu diesem Thema, die zudem uneinheitliche Ergebnisse zeigen. Diese Arbeit hat die Einstellung und das Verhalten der Zahnärzte aus Norddeutschland untersucht. Dabei standen die Kenntnis der verschiedenen Therapieoptionen, die Einstellung zum Belassen von Karies während der Exkavation und mögliche Zusammenhänge mit den Merkmalen der Teilnehmer im Fokus der Untersuchung.
Material und Methoden: Ein Fragebogen aus insgesamt neun Fragebatterien wurde erstellt. Reliabilität, interne Konsistenz und Validität wurden geprüft und bestätigt. Der Fragebogen wurde nach dem Prinzip der ‘tailored-design-method’ postalisch an alle in Schleswig-Holstein registrierten Zahnärztinnen- und ärzte versendet. Post-hoc wurden Teilnehmer zufällig ausgewählt und kontaktiert, um vorherige ‘Non-Responder’ zu identifizieren. Die nachträglichen Antworten dieser Non-Responder wurden mit denen der Hauptgruppe verglichen. Zur statistischen Analyse kamen paarweise Tests sowie Clusteranalysen zum Einsatz.
Ergebnisse: Von 2.346 angeschriebenen Zahnärzten antworteten 821, was einer Rücklaufrate von ca. 35 % entspricht. Auch wenn eine Pulpaeröffnung wahrscheinlich war, wählten 50 % der Teilnehmer die non-selektive Kariesentfernung. Als Alternative wurde vor allem die schrittweise Exkavation gewählt. Zur Beurteilung der Exkavation war die Härte des Restdentins das wichtigste Kriterium. 75 % nutzten die direkte Überkappung zur Behandlung einer eröffneten Pulpa, 70 % lehnten eine selektive Entfernung aus Angst der Pulpaschädigung oder Kariesprogression ab. Restaurationslanglebigkeit und gesetzliche Rahmenbedingungen (Garantiezeit für Restaurationen) hatten einen maßgeblichen Einfluss auf die Behandlungsentscheidung. Die multidimensionale Analyse zeigte zwei grundsätzlich unterschiedliche „Typen“ von Zahnärzten und deren entweder mehr oder weniger invasives Behandlungsmuster.
Zusammenfassung: Es gab keinen Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten der Zahnärzte und deren Alter, Geschlecht oder Praxisumfeld. Die Teilnehmer waren sich der verschiedenen Therapieoptionen und deren Erfolgsraten bewusst. Obwohl wissenschaftlich belegt, lehnte die Mehrheit der Teilnehmer eine selektive Kariesentfernung ab. Für die Implementierung eines evidenzbasierten Exkavationsverhaltens sollte dies in Aus- und Weiterbildung noch stärker thematisiert sowie gesetzliche Rahmenbedingungen angepasst werden.
Objectives: Compared with traditional non-selective (complete) removal of deep caries, selective (incomplete) removal has been shown to reduce the risks of post-operative pulpal complications and pulp exposure. It is unknown if German dentists perform selective or non-selective caries removal and how exactly they, generally, perform excavation. The aim of the present study was to assess the attitudes and behavior of dentists in Northern Germany.
Methods: A new questionnaire was designed and validated, comprising nine sections. A comprehensive sample of all registered dentists in the federal state of Schleswig-Holstein was drawn and the questionnaire administered based on the principles of the ‘tailored-design-method’. Non-responder analyses were performed. Results: From 2,346 practitioners, 821 (35 %) responded. Selection bias was not indicated via demographic and sensitivity analysis. Every second dentist considered only non-selective excavation, even if pulp exposure was likely. Hardness was the most important factor to assess caries removal. 75 % of dentists considered direct capping to treat an exposed pulp whereas 70 % refused to leave carious tooth tissue beneath a restoration, fearing caries progression or pulp damage. 59 % indicated to prefer more invasive treatment to facilitate restoration longevity. More than half saw an influence of professional regulations on their treatment decisions. There was an association between attitudes and behaviour of dentists, with dentists who believed caries could be successfully sealed performing selective excavation more often than those who feared caries progression. Conclusions: The majority of the sampled dentists were sceptical towards selective caries removal despite scientific evidence supporting this technique. Under- and postgraduate education should focus on advantages of selective removal and regulatory incentives should be adapted to promote minimally invasive techniques.