Einleitung: Spinale Effekte von Anästhetika sind von besonderem Interesse, seit dem das Rückenmark tierexperimentell als primäres Ziel der Unterdrückung motorischer Reaktionen auf Schmerzreize identifiziert werden konnte. H-Reflex- Studien am Menschen konnten für Sevofluran und Lachgas zeigen, dass die Unterdrückung der spinalen motoneuronalen Erregbarkeit mit der Unterdrückung motorischer Antworten auf Schmerzreize korreliert. In vitro-Studien geben erste Hinweise darauf, dass im Umfeld der erregenden Synapsen der Motoneurone sowohl präsynaptische als auch postsynaptische Hemmungsmechanismen beteiligt sein könnten. Der Einfluss von Anästhetika auf die motoneuronale Erregbarkeit scheint für die Unterdrückung von Bewegungsantworten auf Schmerzreize von besonderer Bedeutung zu sein. Doch obwohl zelluläre Experimente GABAA-, Glycin- und Glutamat-Rezeptoren als primär verantwortliche Zielstrukturen ermitteln konnten, bleiben die Mechanismen der Bewegungsunterdrückung im intakten motorischen System des Menschen unbekannt. Ziel dieser Studie ist es, das Ausmaß der präsynaptischen und postsynaptischen Effekte der Anästhetika Sevofluran und Lachgas auf die motoneuronale Erregbarkeit an einem monosynaptischen Reflexbogen am intakten Rückenmark des Menschen zu zeigen, dessen Verschaltung und dessen beteiligte molekulare Strukturen bekannt sind. Methodik: Nach Zustimmung der Ethikkommission und schriftlicher Einwilligung wurden 24 Probanden in die Studie eingeschlossen. Für die Differenzierung präsynaptischer und postsynaptischer Mechanismen der Unterdrückung der motoneuronalen Erregbarkeit durch die Anästhetika Sevofluran und Lachgas untersuchten wir zwei Parameter: 1.) die Unterdrückung der Amplitude des maximalen H-Reflexes als Parameter der motoneuronalen Erregbarkeit, welche sowohl prä- als auch postsynaptische Hemmungsmechanismen einschließt 2.) die Unterdrückung der heteronymen Fazilitation des H-Reflexes als Parameter der reinen präsynaptischen Hemmung. Das von Hultborn et al. etablierte Verfahren der heteronyme Fazilitation des M. soleus H-Reflexes wurde verwendet, um eine stattfindende präsynaptische Inhibition auf Ia-Fasern des N. femoralis zu untersuchen. Da eine direkte Verschaltung zwischen dem im N. femoralis verlaufenden Ia-Muskelspindelfasern des M. quadriceps femoris und den Motoneuronen des M. soleus existiert, kann die durch Stimulation des N. tibialis hervorgerufene H-Welle durch zusätzliche Stimulation des N. femoralis vergrößert (konditioniert) werden. Werden N. femoralis und N. tibialis in einem Zeitfenster so stimuliert, dass sie zeitgleich auf das Motoneuron des M. soleus treffen, kann der monosynaptische Charakter der Fazilitation gesichert werden. Bei einer Abnahme der Fazilitation kann so als einzige mögliche Ursache auf eine Zunahme der präsynaptischen Hemmung geschlossen werden. Konditionierte und unkonditionierte Reflexe wurden in zufälliger Reihenfolge und an drei Zeitpunkten gemessen: 1.) Vor Gabe des Anästhetikums, 2.) mindestens 35 min nach Erreichen einer stabilen endtidalen Konzentration des Anästhetikums (0.8 Vol.-% Sevofluran und 45 Vol.-% Lachgas, äquipotente Konzentration in Bezug auf die motoneuronale Unterdrückung), 3.) mindestens 30 min nach Abflutung des Anästhetikums. Ergebnisse: Die Studie wurde für jeweils zehn Probanden im Alter von 19-32 Jahren erfolgreich durchgeführt, wobei sieben Probanden unter beiden Anästhetika gemessen wurden. Bei den gewählten Anästhetikakonzentrationen wurde eine statistisch signifikante Unterdrückung der maximalen H-Reflex-Antwort unter Sevofluran von 26.3 ± 8.4 % (MW ± SD) und eine Unterdrückung für Lachgas von 33.5 ± 15.6 % (MW ± SD) gemessen (jeweils Analyse mittels linear mixed effect model). Die Reduktion der H-Reflex- Fazilitation im Vergleich zu den Kontrollmessungen beträgt 28.8 ± 20.0 % (MW ± SD) unter Sevofluran und 6.2 ± 26.4 % (MW ± SD) unter Lachgas. Die Abnahme der H-Reflex-Fazilitation unter dem Einfluss von Sevofluran ist signifikant höher als unter dem Einfluss von Lachgas (Analyse mittels linear mixed effect model). Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass Lachgas nur geringe präsynaptische Effekte bei deutlicher Unterdrückung der motoneuronalen Erregbarkeit aufweist, während Sevofluran sowohl präsynaptische als auch postsynaptische Hemmung zeigt. Da es allgemein anerkannt ist, dass GABA als Transmitter bei der präsynaptischen Hemmung agiert, lassen sich die Unterschiede im Ausmaß der präsynaptischen Hemmung am ehesten aufgrund der unterschiedlichen GABAergen Wirkung der untersuchten Anästhetika erklären. Während Lachgas keine bis geringe Effekte am GABA-Rezeptor aufweist, stellt dieser ein Hauptziel der spinalen Wirkung von Sevofluran dar. Somit konnten in dieser Studie spezifische GABAerge Effekte von Sevofluran beim Menschen in vivo gezeigt werden.
Background: Reduced spinal excitability contributes to the suppression of movement responses to noxious stimuli during the anesthetic state. This study examines and compares presynaptic and postsynaptic effects of two anesthetics in the human spinal cord. Methods: The authors tested two parameters during the administration of 0.8 vol% sevoflurane or 45 vol% nitrous oxide compared with control states before and after drug administration: (1) the size of the soleus H reflex (integrating presynaptic and postsynaptic effects) at increasing stimulus intensities (recruitment curve) and (2) the amount of presynaptic inhibition on Ia afferents of the quadriceps femoris, evaluated by the heteronymous facilitation of the soleus H reflex caused by a conditioning stimulation of the femoral nerve. The study was performed in 10 subjects for each drug. Results: At the chosen concentrations, the maximum H reflex was reduced by 26.3 ± 8.4% (mean ± SD) during sevoflurane and by 33.5 ± 15.6% during nitrous oxide administration. The averaged recruitment curves were similarly depressed under the influence of the two drugs. The reduction of H-reflex facilitation was significantly stronger for sevoflurane (28.8 ± 20.0%) than for nitrous oxide administration (6.2 ± 26.4%). Conclusions: These results demonstrate in humans presynaptic effects of the volatile anesthetic sevoflurane but not of nitrous oxide. A possible explanation for this difference may be the different potency of the respective drugs in enhancing Gammaaminobutyric acid type A receptor–mediated inhibition, because presynaptic inhibition in the spinal cord involves this receptor subtype.