Die Dissertation befasst sich mit dem seit Aristoteles Poetik geläufigen Phänomen des Tragödienmitleids. Der Begriff des ästhetischen Mitleids ist in diesem Kontext über die Tragödienrezeption die Betrachtung von Wahrnehmung und Wirkung der Tragödie definiert. Im Zentrum steht die Frage nach der Bedeutung des ästhetischen Mitleids und seiner Beschränkung durch die Tragödienkatharsis. Dazu werden drei Konzeptionen ästhetischen Mitleids vorgestellt. Der an Aristoteles orientierten Mitleidstheorie Lessings müssen zwei Ansätze aus verschiedener Zeit zugrunde gelegt werden: Der Briefwechsel über das Trauerspiel mit Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai aus den Jahren 1756/57 und die Ausführungen über Furcht und Mitleid im 74.-78. Stück der Hamburgischen Dramaturgie . Die Arbeit vertritt die These, dass zwischen beiden Konzeptionen ein Entwicklungszusammenhang besteht, der mit dem Einfluss Rousseaus verständlich gemacht werden kann. Lessing gibt schließlich eine Tragödiendeutung, die gerade über ihre moralischen Intentionen das ästhetische Mitleid auf spezifische Weise charakterisiert. Gegen Lessings Interpretation der aristotelischen Katharsis wendet sich Jacob Bernays. Seine Grundzüge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles über Wirkung der Tragödie sind erstmals 1858 veröffentlicht worden. Auch mit dieser Schrift liegt eine Poetik- Interpretation vor. Bernays betrachtet das Tragödienmitleid als pathisches Phänomen, behauptet aber dennoch die ästhetische Perspektive seiner Untersuchung. Vor allem Friedrich Nietzsche hat auf diese pathologische Tragödieninterpretation reagiert. Mit seiner Schrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) liegt so die These der Arbeit eine vollendete Theorie des ästhetischen Mitleids vor. Gerade in der Reaktion auf Bernays formuliert Nietzsche ein ästhetisches Konzept, das neben der pathischen Wirkung des Mitleids die ästhetische Wahrnehmung des Theaterzuschauers ins Zentrum stellt. Die abschließende Darstellung der Beurteilung des Euripides durch Lessing, Bernays und Nietzsche veranschaulicht noch einmal die Unterschiede ihrer Mitleidskonzeptionen.
Susanne Lawrenz s dissertation examines the phenomenon of aesthetic pity current since Aristotle s Poetics. In the Aristotelian context, the concept of aesthetic pity is defined in terms of reception: the act of watching tragedy, on the one hand, and the affect generated by the tragic work, on the other. The study focuses on the significance of aesthetic pity and its limitations through tragic catharsis and further delineates its object by presenting three models of aesthetic pity: those of Lessing, Bernays and Nietzsche. While Aristotelian influence is evident in Lessing s theory, two additional contexts further undergird his model: Lessing s correspondence with Moses Mendelssohn and Friedrich Nicolai concerning the tragedy (1756/1757) and Lessing s reflections on pity and fear in sections 74 to 78 of Hamburgische Dramaturgie. As the study argues, the reception of Rousseau links the development of these concepts. The interpretation of tragedy that Lessing ultimately offers particularly characterizes aesthetic pity in terms of moral intentions. It is this concept of Aristotelian catharsis that Jacob Bernays explicitly opposes. His Grundzüge der verlorenen Abhandlung des Aristoteles über Wirkung der Tragödie (1858) also offers an interpretation of the Poetics. Bernays views aesthetic pity as a pathic phenomenon, while at the same time asserting the aesthetic perspective of his inquiry. It is most particularly Friedrich Nieztsche who reacted to the pathological interpretation of tragedy. As the study argues, the theorization of aesthetic pity finds its culmination in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872). Through his reception and critique of Bernays, Nietzsche formulates an aesthetic concept that in addition to considering the pathic dimension of pity also places the aesthetic reception of the audience at the center of his account. The study concludes with Lessing s, Bernays s and Nietzsche s divergent analyses of Euripides which serve to highlight the differences in their conceptions of aesthetic pity.