Die Kolonialzeit in Lateinamerika (1500er-1800er Jahre) wird in der Regel als eine vergangene Wirklichkeit beschriebe, die, obwohl offensichtlich historische Bedeutung, eine begrenzte Erklärungsrelevanz besitzt. Diese historische Periode oft nur anekdotisch oder sogar als irrelevant zur Erklärung zeitgenössischer sozio-politischer Phänomene in Latein Amerika betrachtet. Liberal-modernistische Historiker und Sozialwissenschaftler in dieser Weltregion scheinen nicht bereit zu sein sich auf diese dramatische und vermeintlich rückständige Vergangenheit zu berufen. Ausgehend von einer kritischen Diskussion von Foucaults Konzept der vormodernen pastoraler Macht und seinen ambivalenten Aussagen über der pastorale Macht in der modernen Gesellschaft, biete ich in diesem Beitrag einen genealogischen Nachweis über die Gouvernementalitäten während drei Jahrhunderte der Kolonialherrschaft und der Verbreitung von heilbringenden und integralistischen Rationalen. Ich werde sowohl die Jenseitigkeit (other-worldliness) solcher Erlösung (salvation) als auch die realistische Methodologie durch die solche erreicht werden sollte aufzeigen. Der Beitrag reflektiert abschließend, wie wichtig die Erforschung möglicher Kontinuitäten zwischen diesen Gouvernementalitäten und messianischen politischen Persönlichkeiten, oder Caudillos, des 20. und 21. Jahrhundert in Lateinamerika.
The colonial period in Latin America (1500s-1800s) is usually addressed as a past reality that has obvious historical significance yet limited explanatory relevance. This historical period seems to be taken as merely anecdotical and eventually irrelevant to explain contemporary socio-political phenomena in Latin America. Liberalist-modernist historians and social scientists in this region of the world seem unwilling to go back to such a dramatic and presumably backward long gone past. Based on a critical review of Foucault’s pre-modern pastoral power and his ambivalent statements on pastoral power in modern societies, I offer in this paper genealogical evidence about the governmentalities forged during three centuries of colonial rule and the persistence, within them, of salvific and integralist rationales. I will highlight both the other-worldliness of such a salvation and the realist methodology by which the latter was meant to be achieved. I conclude by suggesting the relevance of further genealogical analyses and the pertinence of exploring possible continuities between those rationales and messianic political characters, or caudillos, in 20th- and 21st-century Latin America.