Wohlbekannt ist, dass Hannah Arendt der Idee unveräußerlicher Menschenrechte skeptisch gegenüber- stand. Gemeinhin wird ihre Skepsis durch das empirische Faktum des Versagens der Menschenrechte während der Zeit des Holocausts begründet und damit eher auf eine pragmatische Einschätzung zur politischen Durchsetzbarkeit überstaatlich defi nierter Menschenrechte denn auf eine philosophische Po- sition zurückgeführt. Diese Lesart der arendtschen Menschenrechtskritik greift jedoch zu kurz. Der Vorwurf der Un- brauchbarkeit von Menschenrechten ist eingebettet in Arendts Kritik an der philosophischen Tradition insgesamt und trägt die Züge von Arendts Auseinandersetzung mit der Scholastik des Aurelius Augus- tinus und dem Frühwerk Martin Heideggers. Die vorliegende Arbeit zieht folglich Arendts Augustinus- Dissertation sowie Sein und Zeit heran, um das philosophische Begründungsgerüst der arendtschen Menschenrechtskritik herauszuarbeiten. Als deren zentrales Element wird ein von Arendt immer wieder aufgegriffenes erkenntnistheoretisches Dilemma der Philosophie und ihres Werkzeugs, der Sprache, he- rausgestellt: die Unmöglichkeit, das überzeugend zu defi nieren, was jeden Menschen einzigartig und damit schützenswert macht – sein Personsein. Die philosophische Logik lässt Menschen immer nur als Bündel von Eigenschaften erscheinen, die für sich die Schutzwürdigkeit des Einzelnen nicht plausibel machen können, ihr entzieht sich die durch Einzigartigkeit erst hervorgebrachte Pluralität des politischen Raumes. So kann eine jede Menschenrechtstheorie als Produkt philosophischer Abstraktion zwar einen Katalog von Normen aufstellen, doch die eigentliche Achtung jedes einzelnen Menschen kann sie damit nicht erwirken. Schlimmer noch, sie hat als Ausgangspunkt ein entpersonalisiertes Menschenbild, an das sich, mangels intuitiver Erfassbarkeit der Würde des Einzelnen, auch menschenverachtende Theorien anschließen lassen. In dieser Studie wird Arendts Beschreibung des Holocaust unter Gesichtspunkten der von ihr all- gemein formulierten Philosophiekritik untersucht und so der Brückenschlag zwischen ihren erkennt- nistheoretischen und empirisch-analytischen Aussagen vollzogen. Die Menschenrechtskritik wird auf diese Weise im begriffl ichen Kosmos Arendts lokalisiert. Im Anschluss daran wird ein weites Konzept des „Rechts auf Rechte“ vorgestellt, welches der von Arendt formulierten These Rechnung trägt, der blinde Punkt der Philosophie hinsichtlich der Perso- nalität des Einzelnen könne nur kompensiert werden durch die Schaffung eines politischen Raums, in welchem der lebensweltliche Umgang der Menschen miteinander einen zweiten Erkenntnismodus jen- seits der philosophischen Logik eröffne. Eine Begrenzung des „Rechts auf Rechte“ auf einen formal- juristischen Status erscheint vor diesem Hintergrund unzulässig, da die Anerkennung seiner Rechtsfä- higkeit für das Subjekt politische Rahmenbedingungen voraussetzt, in denen dieses seinen Mitmenschen das eigene Personsein stets offenbaren kann – ein Anspruch mit weitreichenden Implikationen für die Beschaffenheit politischer Gemeinwesen