Die primäre Aufgabe der archäologischen Denkmalpflege ist die Wahrung des „öffentlichen Interesses“ an der Archäologie. Wie sich dieses konstituiert oder wie es bestimmt werden sollte, hat sich jedoch über die letzten 200 Jahre hinweg maßgeblich geändert. In den weit stärker hierarchischen Gesellschaften Österreichs und Deutschlands vor 200 Jahren war selbstverständlich, dass „öffentliches Interesse“ von oben herab vorgeschrieben wurde: es erging entweder vom Kaiser selbst an dessen Volk (oder Völker), oder aber von der mit „besonderem Sachverstand“ und kaiserlicher Autorität ausgestatteten Bürokratie, der Obrigkeit, an deren Normuntergebene, die Untertanen. Mit dem seitherigen Aufschwung bürgerlicher Gesellschaften gibt es hingegen eine verstärkte Egalisierung der Gesellschaft und eine Neukonzeption der Vorstellung, wie sich „öffentliches Interesse“ konstituieren soll: durch einen „öffentlichen Diskurs“, in dem gleichberechtigte BürgerInnen gleichermaßen gehört werden und gleichberechtigt ihre Interessen vertreten und durchsetzen können. Wie in diesem Beitrag gezeigt wird, ist dieses egalitäre Konzept in der (österreichischen) archäologischen Denkmalpflege bislang kaum angekommen: das Verhältnis zwischen nun wissenschaftlicher statt kaiserlicher Obrigkeit und staatsbürgerlichem Untertan ist im Vormärz steckengeblieben. Die Ursache dafür ist ein vollständiges Fehlen eines öffentlichen Diskurses und die spezifische Ordnung des wissenschaftlichen Diskurses zur Problematik.
View lessIn den Wunderkammern der Frühen Neuzeit werden außergewöhnliche Objekte versammelt und einem exklusiven Publikum präsentiert. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften und Materialitäten sind die ausgestellten Artificialia, Naturalia und Exotica darauf ausgerichtet, bei Betrachtern Staunen auszulösen. Aspekte des Erzählens spielen hierfür eine wesentliche Rolle: hinsichtlich der literarischen Vorgeschichte(n) der Wunderkammer oder des Zusammenspiels multipler ‚Objektbiografien‘, aufgrund narrativer Elemente in Formen der räumlichen Zusammenstellung, Ordnung und Präsentation oder wegen der seriell und perspektivisch bestimmten Erfahrungen der Besucher. Damit eng verknüpft ist vor allem im höfischen Kontext die politische Funktionalisierung von Wunderkammern. Das Sammeln wertvoller Dinge und die damit verbundene Repräsentation von Wissen generieren kulturelles und symbolisches Kapital. Praktiken der Kombination, Unterscheidung und Narration definieren Wissensbereiche und verfestigen sie institutionell. Die Beiträge des Sammelbands widmen sich diesen narrativen, institutionellen und materiellen Dimensionen von Wunderkammern in theoretisch und methodisch grundlegender Weise und beziehen diese aufeinander; damit sind sie Versuche, die Forschung an der Schnittstelle zwischen Literatur-, Wissens- und Museumsgeschichte für die Mediävistik und Frühneuzeitforschung produktiv zu machen.
View lessDie Kulturen des antiken Mesopotamiens und angrenzender Regionen werden mit Blick auf eine dort über mehrere Jahrtausende genutzte Schriftart auch als „Keilschriftkulturen“ bezeichnet. Die Verwendung der Keilschrift setzt in Südmesopotamien etwa um 3300 v.Chr. ein und reicht bis in das 2. Jahrhundert unserer Zeit. Im Laufe ihrer mehr als drei Jahrtausende umspannenden Überlieferungsgeschichte wurde die Keilschrift an mehr als ein Dutzend unterschiedlichster Sprachen angepasst; die bekanntesten sind Sumerisch, Akkadisch, Hethitisch, Hurritisch, Elamisch, Ugaritisch, Urartäisch und Altpersisch. Derartige Anpassungsprozesse basieren auf Bewegungen von Schrift- und Sprachwissen, die sich in Abhängigkeit von soziohistorischen und linguistischen Rahmenbedingungen sowie funktionellen Nutzungskontexten der Schrift vollzogen. Der von Eva Cancik-Kirschbaum und Ingo Schrakamp herausgegebene Band führt in die Thematik ein und beschreibt anhand diachroner und diatoper Fallstudien aus drei Jahrtausenden keilschriftlicher Überlieferung derartige Bewegungen von Schrift- und Sprachwissen.
View lessFalk Quenstedt zeigt in seiner Studie zu drei um 1200 entstandenen Reiseerzählungen, dass der Straßburger Alexander, der Herzog Ernst und die Reise-Fassung des Brandan in ähnlicher Weise ein an das Wunderbare und an Narration geknüpftes Wissen eigenen Rechts vermitteln. Dieses ‚mirabile Wissen‘ speist sich aus Mirabilien-Topoi gelehrter Wissenstraditionen und mediterranen Literaturen, insbesondere aus arabischen Erzähltexten und ihren epistemischen Kontexten. Es gewinnt Kontur als ein Wissen von den ‚wundern‘ (lat. mirabilia, arab. ʿaǧāʾib), als ein Wissen über die Verwunderung selbst und als ein Wissen, das von sich aus zu erstaunen vermag. Das mirabile Wissen steht im historischen Zusammenhang sich intensivierender Verflechtungen verschiedener höfischer Kulturen des euromediterranen Raums im 12. und 13. Jahrhundert und bildet ein wesentliches Element ihrer repräsentativen, diplomatischen und geselligen Praktiken. Ausgehend von transkulturellen Transferanalysen einzelner Episoden entwickelt die Studie neue literarhistorische und interpretative Perspektiven auf die untersuchten Erzähltexte und damit auf die deutschsprachige Literatur um 1200.
View lessWissen en miniature erkundet die epistemischen Potentiale des Miniatur-Narrativs Anekdote als Wissensform in Texten und Bildern von der Antike bis in die Moderne. Philosophischen und kunstgeschichtlichen Perspektiven werden komparatistische philologische Lektüren gegenübergestellt, die Beispiele aus der lateinischen, italienischen, französischen, englischen und deutschen Literatur umfassen. Angeregt von den leitenden Fragestellungen und Begrifflichkeiten des Sonderforschungsbereichs 980 an der Freien Universität Berlin „Episteme in Bewegung“ wird analysiert, welchen Prozessen der Umstrukturierung, des Wandels, der Selektion oder der Ausblendung Wissen im Zuge der Neukontextualisierung von Anekdoten oder im Akt des Anekdotisierens selbst unterworfen ist. Untersucht wird, welche Machtkonstellationen und Aushandlungsprozesse sich am Transfer von Anekdoten ablesen lassen und wie diese, auch in der materialen und medialen Gestaltung von Anekdoten, dokumentiert werden.
View lessDer interdisziplinäre Band, hervorgegangen aus dem SFB 980 Episteme in Bewegung, versammelt Studien aus der Arabistik, der Philosophiegeschichte, der Wissenschaftsgeschichte und der Literaturgeschichte mit einem historischen Schwerpunkt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Im Mittelpunkt steht die Frage, welches konkrete Wissen historisch mit dem Begriff der Magie verbunden ist, in welchen literar-, philosophie-, religions- und sozialhistorischen Kontexten der Begriff der Magie gebraucht wird und welche Praktiken mit ihm verknüpft werden. Die Beiträge fragen nach den Kontinuitäten zwischen dem Wissen der Magie und dem Wissen der späteren Experimentalwissenschaften und der Technik wie auch nach dem Verhältnis zur Alchemie und zur Theologie. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Frage, welche Transfers und Neukonzeptualisierungen magisches Wissen in literarisch-poetischen Kontexten erfährt, denn offensichtlich ist es gerade die Literatur, die aus der Darstellung magischer Praktiken eine besondere suggestive Kraft bezieht.
View lessFür das Medium ‚Buch‘ haben sich über die Jahrhunderte vielfältige Praktiken entwickelt, um Wissen in ihm zu fixieren, es zu verwalten, verfügbar zu machen und abzurufen, aber auch um es zu chiffrieren und den Zugang zu diesem Wissen zu beschränken. Das Anordnen und Gestalten von Wissensbeständen im Buch kann ebenso als Kulturtechnik verstanden werden wie der spätere Gebrauch des gebundenen Materials. Die Kulturtechniken, Wissen in Bücher und von Buch zu Buch zu transferieren, setzen selbst implizites oder explizites Wissen um diese Techniken voraus. Dabei spielen für die Interpretation der Wissensorganisation in Büchern sowohl die Materialität des Buches und die verwendeten Kommunikationsmodi eine Rolle als auch soziale Strukturen und kulturelle Praktiken, in denen das Objekt erzeugt und verwendet wird. Diesen Dimensionen des Buches wird in zwölf Studien zur Kommentierung, zur Alchemie und zum Buchdruck nachgespürt.
View lessWe live in a paradoxical world in which humanity has accumulated more wealth than ever before – but we have distributed it less equitably than ever before (e.g., Christiansen and Jensen 2019). This is not a new insight. Most archaeologists, at least since the Processual – Post-Processual debates, acknowledge that they work within inequality. As Gabriel Moshenska (p. 49),1 quoting Collingwood puts it: “I know that all my life I have been engaged unawares in a political struggle, fighting against these things in the dark. Henceforth I shall fight in the daylight.” This quote nicely encapsulates the intent of this important Archaeology as Empowerment theme issue that marks the 10th anniversary of Forum Kritische Archäologie.
View lessVerwendung des Begriffs 'Metapher' in verschiedenen Fachdiskursen.
RG: So, Yannis, having read and reread the essays, I thought we might exchange a few impressions and respond to some of the challenges that have been offered in them, whether directly or indirectly. One of the first things that struck me, both in this set of papers and in other reactions to ANR (published, online and in academic settings), is how varied and “undisciplined” they are: each response seems to spin off in a different direction! I know that it was our intent and hope to engage a diverse readership, but I began to wonder whether there is true communication, as Despina Lalaki suggests there should be, or if we are talking to ourselves and past each other. I’m also thinking of the eye-rolling reproach that I often encounter, not least from colleagues within the profession, of those who would prefer that we ‘stay in our lane,’ do what we do best and what we are paid public money to do; that is, dig, publish and tell stories about the past. Why trouble the world with our half-baked meditations? And now we have gone and lured more well-intentioned, mostly young scholars to join us in this pointless exercise!
View lessIn recent years there has been growing scholarly interest in the social context of archaeology in Israel. As amply demonstrated, ideologies, politics and religions have been entangled with the practice of archaeology in the southern Levant since Ottoman times, and they form the foundations of common current approaches. True, interpretive frameworks and methodological approaches gradually changed in response to studies of the history of scholarship during the 1980s and 1990s, as well as exposure to critical archaeological studies, and the perspective of archaeologists educated in recent decades differs from that of their predecessors, but many still adhere to paradigms and concepts that developed and crystallised almost a century ago by agenda-driven scholars. Accordingly, this contribution joins the call for a reflective discourse – which is needed now more than ever. It deals with the entanglement of the ancient, the recent and the present, as reflected in the ongoing work at Tel Ḥadid, a multilayer mound in central Israel, following Raphael Greenberg and Yannis Hamilakis’ (2022) call to “demystify” the ancient and imagination and consequently our scholarly approaches.
View lessThe first object that was accessioned by the Department of Oriental Antiquities at the Louvre Museum was a statue of the ruler Gudea (c. 2120 BC) from Tello (ancient Girsu) in southern Iraq (Fig. 1). When one looks at the hands of this statue closely, signs of damage and restoration can easily be discerned. In fact, the earliest photographs published in the excavation reports show this statue without its hands (Fig. 2). This absence was interpreted by the Louvre curator André Parrot as an ancient act of iconoclasm carried out in the late third millennium BC, after the time of Gudea: “By breaking the hands, the vandal believed to annihilate more completely the effectiveness of the statue erected in the Eninnu [temple of Ningirsu]” (Parrot 1948: 162).
View lessRaphael Greenberg and Yannis Hamilakis argue for archaeology’s revolutionary potential, borne of its ability to see what is hidden by typology, process and projection. I admire the project that these scholars advance in their individual life’s work which includes actions of professional commitment, archaeological expertise, and activism that draws others to enhanced awareness. Their interchanges, as captured in Archaeology, Nation, and Race left me newly aware of potentials and responsibilities for me as an archaeologist, as an agent engaging in activities that span pasts and presents. I particularly appreciated their willingness to lay bare the possibilities for an archaeologist to do better in understanding and even untangling, rather than reproducing, structures of power and advantage. The maneuvers that diminish those who experience systemic limits on their access to knowledge, opportunity and narrative control are more apparent to me following my engagement with these interpretations of Israel and Greece. I am prompted to consider anew the processes of typologization, of defining archaeologies as plural, and also allowing space for concern with things which may possess “sentient, affective and emotive properties” (Greenberg and Hamilakis 2022: 91).
View lessAcross contexts as disparate as the United States, Australia, China, Japan, India, Russia, Spain and Europe more broadly, concepts of national identity are deeply intertwined with racial “purity” (Segal 1991; Weiner 1995; Dikötter 1997; Ang and Stratton 1998; Collins 1998; Tolz 2007; Goode 2009; Ghoshal 2021). Scientific rhetoric and technologies, from phrenology to genetics, have often been co-opted into shoring up myths about homogeneity and purity, and archaeology is no exception (Díaz-Andreu 1995; Epperson 1997; Arnold 2006; Challis 2013; Hakenbeck 2019; Pai 2020). What Rafi Greenberg and Yannis Hamilakis add to this discussion with their book Archaeology, Nation, and Race (2022) is a deep consideration of the myriad ways in which the metaphor of purification shows up throughout archaeological practice. Their discussion invites a consideration of what it is about archaeology in particular that lends it to arguments about the salience of nationalist racial categories and homogeneity.
View lessThe book of Raphael Greenberg and Yannis Hamilakis (2022) comes at a time when archaeology could be said to be at an inflection point. For many of the reasons outlined in this book, it is less and less possible to undertake business as usual as we recognize the politically charged nature of our work and the absolute necessity of engaging with communities and the public more broadly. I therefore want to focus on two pressing archaeological themes that emerge throughout the text, namely the archaeology of coloniality (or the coloniality of archaeology) and archaeological epistemology.
View lessFollowing the authors’ lead I would like to introduce my commentary on the book Archaeology, Nation and Race: Confronting the Past, Decolonizing the Future in Greece and Israel (Greenberg and Hamilakis 2022) with a short autobiographical note explaining my way into and out of the field of archaeology. I am a sociologist working in the areas of historical and cultural sociology. My first degree, however, from the University of Athens is in archaeology. It is still unclear to me why I chose to study the subject, but I am convinced that it had something to do with the Indiana Jones franchise that was popular in Greece at the time and the fact that I wasn’t that good in math. If that was the case, I would have probably become an architect. At the university I quickly developed an interest in prehistoric archaeology. Moving beyond the formalism of classical archaeology that still dominated the discipline, the “anthropological” questions raised in the field of the Greek Bronze Age – questions about culture, social and political organization and so on – were rather intriguing.
View lessI read this book (Greenberg and Hamilakis 2022) with enormous excitement and admiration. I also read it with a strong feeling of solidarity as I tried to imagine the resistance the authors must have faced from some of their fellow archaeologists in their respective countries. I feel honored to be given a chance to express my feelings, unprofessional as they are. Still, speaking as a person with zero expertise in the field of archaeology and, what is worse, as an unrepentant modernist, I also feel an obligation to do some conceptual quibbling from the sidelines, and that’s what I’ll do.
View lessArchaeology, Nation, and Race: Confronting the Past, Decolonizing the Future in Greece and Israel (Cambridge University Press, 2022; henceforth ANR) was conceived in the wake of an undergraduate seminar conducted jointly by the authors at Brown University in 2020. Our initial, recorded conversations at the end of the course were transcribed and formed the basis of a manuscript which was expanded, incorporating new research and ideas. Emerging from the dialogue between ourselves and with our students, the published work, also in dialogic form, is intended primarily as a stimulus to further discussion among archaeologists, anthropologists, classicists and anyone concerned with the way archaeology impacts the public imagination.
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