Diese Arbeit beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen der Bearbeitung des Phänomens Staatsentstehung in antiken Gesellschaften im Allgemeinen und deren übertragener Anwendung auf das Alte Ägypten im Besonderen. Der Grundansatz ist eine Revision der kulturanthropologisch verankerten theoretischen Ansätze zur Betrachtungsweise des Phänomens der „Archaischen Staaten“ und ihrer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte und deren Verwendung in und Übertragungsmöglichkeit auf das Feld der Ägyptologie. Dabei aufgeworfen wird die Problematik, daß der Begriff des Staates ein nicht ausreichend determinierter und für vormoderne Gesellschaften zu unreflektiert verwendeter Begriff ist, der sich immer stärker dem Zugriff entzieht, je weiter in die Vergangenheit er projiziert wird. Die Vorgehensweise der Arbeit gliedert sich in zwei Teilschritte, wobei der erste einen forschungsgeschichtlichen Überblick über die theoretischen Hintergründe und Prämissen der Erforschung von Gesellschaftsentwicklung in der Anthropologie und thematisch verwandten Bereichen gibt und einer kritischen Revision unterzieht, sowie deren Übernahme in die archäologischen Fächer bespricht. Im zweiten Teil rückt der Umgang mit dem Thema Staatsentstehung in der Ägyptologie in den Fokus. Auch hier werden die vorherrschenden theoretischen Grundlagen und Vorgehensweisen dieses Thema betreffend analysiert und mit denjenigen der anderen archäologischen Fächer verglichen, weiterhin werden auch die, meist archäologischen, Evidenzen betrachtet und auf ihre Anwendbarkeit bezüglich bestimmter Modelle überprüft. Als Ergebnis dieser Arbeit läßt sich feststellen, daß es zu einer theoretischen Neuorientierung in den anthropologischen und anthropologisch orientierten archäologischen Fächern kam, weg von neoevolutionistischen Modellen und strukturfokussierten Sichtweisen hin zu sehr abstrakten Ansätzen, welche in einem weiteren Rahmen der natur- wie geisteswissenschaftlichen Forschung einzuordnen sind. Für die Ägyptologie dagegen läßt sich die theoretische Reflexion des Themas nicht in der oben genannten Weise feststellen, vielmehr herrschen hier weiterhin die kulturhistorischen Ansätze vor. Allerdings zeigte sich bei denjenigen Arbeiten, welche der Kulturanthropologie zugeordnet werden konnten, daß die theoretische Grundlage eher traditionell zu bewerten ist, die Suche nach neuen Ansätzen aber eingeleitet wurde. Auch das Verständnis des Staates und seiner Funktionsweise in antiken Gesellschaften wurde einer Revision unterworfen. Das ältere Bild eines monolithischen Staates als Wirkungs- und Analyseeinheit, welcher von einem, den Staat als solchen komplett umfassenden Königtum beherrscht wird, scheint aufgegeben werden zu müssen. Weiter verliert die Staatsentstehung als solche ihren Stellenwert in Form einer Initialzündung, welcher ihr bei anderen theoretischen Modellen zugesprochen wurde, stattdessen wird die Betrachtung auf die ständige Praxis des Staates gelenkt, eine Einheit zu erhalten, wo sich in der Realität eine Vielheit präsentiert. So wandelt sich die Staatsentstehung von einem Phänomen zu einem Vorgang, den man ständig während der Existenz einer bestimmten Staatsgesellschaft in Aktion beobachten kann. Wird der Staat darüber hinaus als ein ideologisch basiertes Konstrukt betrachtet, hat dies den Vorteil, der menschlichen Entwicklung einen wesentlich größeren Eigenanteil an ihren Lebensumständen zuzusprechen und führt weiter zu dem Nebeneffekt, daß auch Vorgänge in älteren Gesellschaften denen eines historischen Zeitalters näher gerückt werden, sie also den Anspruch von ebenbürtiger Komplexität zurückerhalten, den sie aufgrund von vereinfachenden Pauschalisierungen, teilweise durch das spärliche archäologische Material begründet, verloren hatten.
This thesis deals with the theoretical basis underlying the occupation with state formation in ancient societies in general and the transferred application on Ancient Egypt in particular. The basic approach is a revision of the theoretical concepts used in cultural anthropology to analyze “Archaic States", their formation and their historical development and the possibility to transfer these insights onto the field of Egyptology. Here the issue is raised that the concept of state is not sufficiently determined, insufficient for pre-modern societies to be uncritically used and a term that increasingly defies the access, the further back in time it is projected. The argumentation of this work is divided into two steps. The first is a research-historical overview of the theoretical background of the study of social development in anthropology and thematically related fields and a critical revision of these theories and their acquisition in the archaeological disciplines. In the second part the focus is set on dealing with state formation in Egyptology. Again, the prevailing theoretical foundations and practices regarding this issue are analyzed and compared with those of other archaeological disciplines, followed by the consideration of the archaeological evidence which is reviewed for its applicability with respect to certain models. As a result it can be said that there was a theoretical reorientation in the anthropological and anthropologically oriented archaeological disciplines, away from neo-evolutionary models and structure-focused perspectives to very abstract approaches, which are based in a wider context of social and natural science, for example autopoiesis and heterarchies. For Egyptology, however, the theoretical reflection of the topic cannot be determined in the manner mentioned above. Here the culture-historical approaches of before continue to prevail. However, concerning those works which could be associated with cultural anthropology it could be stated that the theoretical basis is traditional but the search for new approaches was initiated. Furthermore the understanding of the state and its functionality in ancient societies was subjected to revision. The older image of a monolithic state as unit of analysis which is ruled by a fully comprehensive monarchy seems to have to be abandoned. Next the emergence of states as such loses its value as initial prime mover, which it was awarded in other theoretical models. Instead the focus is drawn to the constant practice of the state to obtain unity where in reality there is a multiplicity. Thus, the emergence of states converts from a phenomenon to a process that can be constantly observed during the existence of a particular state. If the state has also to be considered as an ideologically-based construct, this has the advantage of emphasizing the impact humans as agents have on their own living conditions. This further leads to the side effect of ancient societies moving closer to those of historical eras concerning their status of coequal complexity which had often been neglected due to simplistic generalizations, partly justified by the sparse archaeological material.