Die Forschungsfrage der Untersuchung lautet kurzgefaßt, wie sich das Unrechtserleben bei politisch Traumatisierten im psychosozial-therapeutischen Feld und Umfeld äußert und wie es darin adäquat bearbeitet werden kann. Zur Beantwortung wurden Interviews mit Expert/inn/en aus dem Umfeld der Therapie mit politisch Traumatisierten geführt und ausgewertet, um sich dem stark kontextbezogenen Gegenstand zunächst vom Kontext her anzunähern. Zur Auswertung wurde die Methodik transversale Hermeneutik entwickelt. Deren erster Bestandteil ist das philosophische Konzept transversale Vernunft von W. Welsch. Danach können Experteninterviews als Rationalitätskomplexe innerhalb einer pluralistischen Lebenswelt aufgefaßt werden. Zwischen ihnen gilt es kritische Transversionen herzustellen, d.h. Quergänge, Anschlüsse, Verflechtungen. Zur methodenkritischen Absicherung erfolgt ein weiterer Rekurs auf die Hermeneutik von P. Ricoeur. Diese verlangt eine Verschränkung von Erklären (Aufzeigen der inneren Textur) und Verstehen (kritische Vermittlung mit dem Deutungshorizont des Interpreten). Ergebnis ist die transversale Konzeption Normatives Empowerment (NE). - Bei Normativem Empowerment wird davon ausgegangen, daß der Gesamtkomplex politischer Traumatisierung, einschließlich psychosozialer Antwortmöglichkeiten, wesentlich durch zwei Haupt-Sinnkoordinaten und drei Neben-Sinnkoordinaten erfaßt werden kann: Macht und Recht, sowie Wahrheit, Freiheit und Öffentlichkeit. Es ist von Sinnkoordinaten (d.h. inhaltlichen Bezugsgrößen) die Rede, weil mit ihnen nach dem Modell eines quantitativen Koordinatensystems ein mehrdimensionaler qualitativer Sinnraum aufgespannt werden kann: der zwei-plus-drei-dimensionale Sinnraum von Normativem Empowerment. In Verfolgersystemen werden diese Sinnkoordinaten mit Blick auf die Verfolgten regelmäßig verkehrt (vgl. H. Arendt): zu Ohn-macht, Un-recht, Un-wahrheit, Un-freiheit und Nicht- Öffentlichkeit. Die Verkehrung der ersten Haupt-Sinnkoordinate - das Erleben extremer Ohnmacht - konstituiert die (sequentielle) politische Traumatisierung (vgl. H. Keilson). Entsprechend geht es bei Normativem Empowerment darum, diesen Verkehrungen psychosozial und therapeutisch entgegenzuwirken. Es ergibt sich die erste NE-Hauptstrategie: Empowerment / Er-mächtigung. Um einer einheitlichen Terminologie willen wird begrifflich analog die zweite NE- Hauptstrategie gebildet: Enjusticement / Er-rechtigung. Hiernach bezeichnet Normatives Empowerment eine konzeptuelle Grundhaltung für die psychosoziale und therapeutische Praxis mit politisch Traumatisierten auf der Wertebasis der Menschenrechte: Das Kernanliegen von NE ist es, (1) Menschen, die politisch verfolgt, entmächtigt und verohnmächtigt wurden und die dadurch eine traumatische Belastungsstörung wie auch andere Symptome entwickelt haben, wieder zu ermächtigen, d.h. ihnen heilsame Erfahrungen kommunikativer Macht (H. Arendt, J. Habermas) im weitesten Sinne zu vermitteln. (2) Gleichzeitig haben diese Menschen politisches Unrecht und schwere Menschenrechtsverletzungen und leiden somit an trauma-immanentem Unrechtserleben: Sie sollen daher psychosozial errechtigt, d.h. es soll ihnen zu ihren verbürgten (Menschen)Rechten und zu mehr Gerechtigkeit verholfen werden. Die drei NE-Nebenstrategien sind: Er-schließung von Wahrheit (Vermittlung von faktischem Wahrheitsbezug), Er-freiung (Vermittlung von mehr inneren wie äußeren Freiheitsgraden) und Er-öffentlichung (Vermittlung des erlittenen Unrechts an die therapeutische und allgemeine Öffentlichkeit). - Normatives Empowerment ist ausdrücklich keine ausschließende Alternative zur Psycho(trauma)therapie. Vielmehr kann NE in Anlehnung an N. Luhmann als ein psychosoziales Sinnsystem aufgefaßt werden, welches durch die doppelte Leitdifferenz Ermächtigung + Errechtigung / Entmächtigung + Entrechtigung codiert wird. Es steht zum System der Psychotraumatherapie in einem hierarchischen Interpenetrationsverhältnis, gemäß der Formel: soviel Empowerment wie möglich, soviel Traumatherapie wie nötig. Modellhaft soll das NE-System das Traumatherapie-System von außen nach innen abstützen und stabilisieren. Denn die therapeutische Auseinandersetzung mit dem Unrechtserleben bei politisch Traumatisierten bedeutet wörtlich eine Heraus- Forderung für die Therapie: Der mit Unrechtserleben verbundene normative Druck fordert von der Therapie, daß diese aus sich herausgehe und sich gegen reales Unrecht in ihrer Umwelt engagiere. Damit ist in mancher Hinsicht aber die operative Geschlossenheit der Therapie gefährdet, d.h. die Spezifität therapeutischer Kommunikation. Durch Normatives Empowerment als durchdringende Grund- und Rahmenhaltung wird diese Gefahr konzeptuell aufgefangen und eingegrenzt.
Normative Empowerment describes a basic conceptual attitude for psychosocial and therapeutic practice with politically traumatised persons based on the values of human rights. The main theme is that of empowering people who have experienced traumatogenic powerlessness and injustice and supporting them in claiming their rights. Therapeutic efforts should be made within the framework of and permeated by this political and legal conceptualisation.