Zu Beginn dieser Arbeit war der periphere Benzodiazepinrezeptor (PBR) vor allem als Regulator der Steroidbiosynthese bekannt. Erste Befunde deuteten jedoch auch auf eine Bedeutung des PBR bei der Tumorentwicklung hin. So war bereits beschrieben, dass spezifische Liganden des PBR bei einigen Tumorentitäten wie Dickdarm-, Leber- und Gehirntumoren vermehrt an Tumorgewebe banden und das Wachstum verschiedener Zellinien aus Gehirntumoren hemmten. Eine mögliche funktionelle Bedeutung des PBR bei der Entstehung und Progression gastrointestinaler oder anderer Tumore war noch nicht untersucht. Die vorliegende Arbeit trägt dazu bei, die Rolle des PBR bei gastrointestinalen Tumoren zu charakterisieren und somit PBR als Zielprotein möglicher neuer Diagnose- und Therapieansätze zu etablieren. PBR kommt im Organismus ubiquitär vor. In gesunden gastrointestinalen Geweben wie der kolorektalen und ösophagealen Mukosa sowie im Leberparenchym wird der PBR jedoch nur relativ wenig exprimiert. In dieser Arbeit habe ich nachgewiesen, dass eine große Mehrheit kolorektaler Karzinome PBR überexprimieren. Bei 88 % der Patienten wurde in dem kolorektalen Karzinomegewebe mehr PBR als in der gesunden Darmschleimhaut nachgewiesen. Die Hochregulation des PBR trat in einem frühen Stadium der Karzinogenese auf und hielt bis zur Metastasierung an. Schon bei kleinen Adenomen mit gering-gradigen Dyplasien war der PBR genauso häufig hochreguliert wie in Karzinomen. Auch kolorektale Metastasen zeigten zu 86 % eine PBR Überexpression. Beim Übergang vom Karzinom zur Metastase war eine signifikante Erhöhung der Stärke der Überexpression zu beobachten. Eine starke PBR Überexpression im Karzinomgewebe stellt bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen im Stadium UICC III einen unabhängigen prognostischen Marker dar. K. Maaser: PBR bei gastrointestinalen Tumoren 115 Patienten, deren Karzinome eine starke PBR Überexpression aufwiesen, hatten eine signifikant schlechtere Prognose. Die prognostische Aussagekraft konnte durch eine zusätzliche Bestimmung anderer prognostischer Marker und nachfolgender multifaktorieller Diskriminanzanalyse noch gesteigert werden. Die während der Karzinogenese früh auftretende und bis zur Metastasierung anhaltende Hochregulation des PBR sowie seine prognostische Relevanz lässt auf eine funktionelle Bedeutung des PBR bei der Entstehung und Progression von Dickdarmkrebs schließen. Die Bedeutung des PBR in der Krebsentstehung und Progression scheint nicht nur auf Dickdarmkrebs beschränkt zu sein. In dieser Arbeit wurde auch beim Plattenepithelkarzinom des Ösophagus und beim hepatozellulärem Karzinom eine PBR Überexpression nachgewiesen. Die Häufigkeit der PBR Überexpression ist jedoch organspezifisch. Bei Ösophaguskarzinompatienten bzw. Patienten mit hepatozellulärem Karzinom war eine PBR Überexpression in nur je einem Drittel der Tumore zu beobachten. Ob die PBR Überexpression im Ösophagus- und hepatozellulären Karzinom prognostische Relevanz aufweist, wird in weiteren Studien untersucht. Eine starke Überexpression und prognostische Bedeutung wurde parallel zu dieser Arbeit von anderen Arbeitsgruppen bei Brustkrebs und Gehirntumoren festgestellt, was auf eine über die hier untersuchte Bedeutung bei gastrointestinalen Tumoren hinausgehende funktionelle Rolle des PBR bei der Tumorentwicklung schließen lässt. Die Überexpression des PBR im Tumorgewebe könnte für diagnostische und therapeutische Ansätze genutzt werden. Zur Diagnose von Gehirntumoren werden bereits mit Erfolg radioaktiv-markierte PBR- spezifische Liganden eingesetzt. Ob diese Liganden auch geeignet sind, bei gastrointestinalen Tumoren Residualgewebe oder Mikrometastasen zu detektieren, müssen weitere Studien zeigen. Um PBR als Zielprotein neuer Therapieansätze zu etablieren, wurden in dieser Arbeit die antiproliferativen Effekte spezifischer PBR Liganden untersucht. Die spezifischen K. Maaser: PBR bei gastrointestinalen Tumoren 116 exogenen PBR Liganden FGIN-1-27, PK 11195 und Ro5-4684 zeigten sowohl bei kolorektalen als auch bei ösophagealen und hepatozellulären Zellinien wachstumsinhibierende Wirkung. Darüber hinaus steigerten sie beim hepatozellulären Karzinom die antiproliferativen Effekte etablierter und experimenteller antineoplastischer Substanzen wie Paclitaxel, Docetaxel, Doxorubicin und des Bcl-2 Inhibitors HA14-1. Die Wirksamkeit der PBR Liganden lag bei allen untersuchten Tumorentitäten (Kolorektum, Ösophagus, Leber) im ähnlichen Konzentrationsbereich. Ihre antiproliferativen Effekte beruhten sowohl auf einer Induktion von Apoptose als auch auf einer Arretierung des Zellzyklus. Dies lässt auf gemeinsame Signalwege schließen. In dieser Arbeit wurden die Signalwege, die die PBR Liganden-induzierte Apoptose und Zellzyklusarrest vermitteln, untersucht. Der PBR ist in der Mitochondrienmembran mit der permeability transistion pore assoziiert, die essentiell für die mitochondrienvermittelte Apoptose ist. Wir haben gezeigt, das die durch PBR Liganden ausgelöste Apoptose mitonchondrienabhängig ist. PBR Ligand FGIN-1-27 induziert einen Abfall des mitochondrialen Membranpotentials, nachfolgende Caspase-3 Aktivierung und DNA Fragmentation. Die PK 11195-induzierte mitochondriale Apoptose wird durch die Translokation und Dimerisation von Bax sowie durch eine Induktion der Reaktiven Sauerstoffspezies vermittelt. Die Expression der Bcl-2 Proteine Bcl-2 und Bcl- XL, die die mitochondriale Apoptose regulieren, wird durch PBR Liganden moduliert. Am PBR Liganden-induzierten Zellzyklusarrest sind drei (interagierende) Signalwege beteiligt. PBR Liganden induzieren die Expression bzw. Stabilität der Zellzyklusinibitoren p21Cip1 und p27Kip1. Diese vermindern die Cyclin D1 Expression, welche den Übergang der G1 Phase zur S-Phase des Zellzyklus steuert. Als Folge der Cyclin D1 Hemmung tritt ein Arrest in der G1-Phase des Zellzyklus auf. Versuche mit einer p21Cip1-defizienten Zellinie zeigten, dass der durch p21Cip1 vermittelte Signalweg beim PBR Liganden- induzierten Zellzyklusarrest essentiell ist. Außerdem deaktivieren PBR Liganden transient die K. Maaser: PBR bei gastrointestinalen Tumoren 117 MAPKinase ERK1/2. ERK1/2 kann dann einerseits nicht mehr den Abbau von p27Kip1 vermitteln, andererseits steigt die Expression der growth arrest and DNA- damage-inducible genes (gadd) 45 und 153. Gadd45 und 153 sind dafür bekannt, dass sie sowohl Apoptose induzieren als auch einen Arrest des Zellzyklus auslösen. Des weiteren induzieren PBR Liganden die Expression des cdc16, das das Kernprotein des anaphase-promoting complex ist. Dieser Proteinkomplex schützt Zellen u.a. vor einem vorzeitigen Eintritt in die S-Phase, z.B. bei DNA-Schäden. Somit stellt der PBR ein vielversprechendes Zielprotein für neue diagnostische, chemopräventive und therapeutsche Ansätze in der gastrointestinalen Onkologie dar. PBR Liganden sind innovative Arzneistoffe, die nun in klinischen Studien getestet werden sollen.