Die vorliegende Arbeit stellt erstmals eine Verbindung zwischen der Tathergangsforschung über sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen und der angewandten Opferarbeit her. Ein Schwerpunkt liegt darauf eine hypothesengeleitete Typisierung von Tathergängen vorzunehmen und damit die bisherigen Ergebnisse der Tathergangsforschung, die eine Unterscheidung in invasive und nicht-invasive Tathergänge sexuellen Missbrauchs nahelegen, zu erweitern. Ein weiterer Schwerpunkt liegt darauf, die erzielten Ergebnisse auf die angewandte Opferarbeit zu übertragen, um Impulse für die evidenzbasierte Praxis zu generieren. Eine Stichprobe von 474 Fällen sexuellen Missbrauchs aus dem Großraum Berlin wurde mittels eines zweischrittigen, clusteranalytischen Verfahrens auf die zugrundeliegende Struktur ihrer Tathergangsmerkmale untersucht. Die Analyse der Fälle anhand 11 zentraler Tathergangsmerkmale erzielte eine zweigliedrige Typologie. Auf der ersten Ebene wurden invasive und nicht-invasive Tathergänge voneinander unterschieden. Auf der zweiten Ebene ließen sich insgesamt sechs invasive und nicht-invasive Tathergangstypen voneinander unterscheiden: Einmalige invasive Übergriffe, invasive Mehrfachübergriffe mit pädophilem Interesse, invasive Wiederholungstaten im häuslichen Umfeld, nicht-invasive Übergriffe außer Haus, nicht-invasive Mehrfachübergriffe mit pädophilem Interesse und nicht-invasive Wiederholungstaten im häuslichen Umfeld. Die Tathergangstypologie erwies sich im systematischen Vergleich mit einer Tätertypologie als aussagekräftig. Bei der Zuordnung von Fällen aus einer unabhängigen Stichprobe zu den Typen bestätigte sich die Praktikabilität der Typologie. In einer schriftlichen Befragung von 115 Praktikern der Opferarbeit wurden typenspezifische Belastungseinschätzungen erhoben. Die plausiblen und interpretierbaren Einschätzungen wiesen darauf hin, dass die Tathergangstypen durch die Praktiker akzeptiert und aus ihrer beruflichen Erfahrung heraus bestätigt wurden. In vertiefenden Interviews mit insgesamt 10 Praktikern aus unterschiedlichen Bereichen der Opferarbeit wurde von Verbesserungsbedarf in der Opferarbeit berichtet und es wurden konkrete Methoden zur Verbesserung der Opferarbeit genannt. Basierend auf diesen Ergebnissen wird vorgeschlagen, typenspezifische Prozessempfehlungen zu entwickeln und dabei die Tathergangstypologie mit erfolgreichen Instrumenten der Opferarbeit zu verbinden. Es wird dargestellt, dass die Verwendung typenspezifischer Prozessempfehlungen in der Opferarbeit eine Grundlage für die Optimierung von Prozessen und Schnittstellen sowie der interinstitutionellen Zusammenarbeit bietet.
The following study fills a gap by connecting research on offending characteristics of sexual abuse with applied victim support. Guided by hypotheses it focuses on a typification of offending characteristics and thereby extends the current differentiation of invasive and noninvasive offenses of child sexual abuse. The study´s purpose subsequently is to transfer the results into social work to develop evidence-based practice in applied victim support. For this purpose, a sample of 474 offenses of sexual abuse was examined by a two-step cluster analysis. The analysis indicated a two-level typology: On the first level it discriminated between invasive and noninvasive offenses. On the second level there were six types: nonrecurring invasive assaults, recurring invasive assaults with pedophilic interests, multiple invasive assaults at home, noninvasive assaults that occurred off- site, recurring noninvasive assaults with pedophilic interests and multiple noninvasive assaults at home. A comparison between the present typology of offenses and a typology of offenders was conducted. This comparison proved the explanatory power of the typology of offenses. The practicability of the typology was proved by assigning cases of an independent sample to the six types. Practitioners (n=115) participated in a written questionnaire which collects ratings of personal stress caused by the different types of abuse. The ratings were plausible and interpretable. This led to the assumption that the typology was confirmed and accepted by the practitioners. In additional interviews, practitioners (n=10) reported the need for improvement in the applied victim support by suggesting concrete actions to do so. Based on the results the study proposes to combine the typology of offenses with successful methods in victim support. It was shown how this could be worked out through establishing guidelines in victim support based on types of offenses. It is depicted that the application of these guidelines is a basis to optimize processes, interfaces and inter-institutional cooperation.