Einleitung und Hypothese Das Wissen über die komplexe und multifaktorielle Genese chronischer Schmerzsyndrome führte zur Entwicklung eines multimodalen Schmerztherapiekonzeptes. Dieser Paradigmenwechsel von einem rein biologischen Schmerzmodell zu einem biopsychosozialen Krankheits- und Schmerzverständnis verlangte das Verlassen monodisziplinärer Denkweisen und therapeutischer Strategien. Ein wichtiges Element der interdisziplinären Betrachtung chronischer Schmerzsyndrome sind sog. Schmerzkonferenzen, bei denen Schmerzpatienten, einem Plenum von Ärzten aus mehreren medizinischen Fachdisziplinen, Psychologen und anderen Therapeuten (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie) mit dem Auftrag der (Re)-evaluation diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen vorgestellt werden. Aufgrund der Beteiligung und der Sichtweisen verschiedener Disziplinen postulierte man, dass Schmerzkonferenzen in der Lage wären, positive Effekte auf Diagnostik- und Therapieplanung zu haben. Schmerzkonferenzen werden heutzutage regelmäßig in interdisziplinären Schmerzzentren sowie von niedergelassenen Schmerztherapeuten durchgeführt. Trotz der inzwischen fast flächendeckenden Einführung von Schmerkonferenzen insbesondere in Deutschland, Skandinavien und den USA fehlen bislang Untersuchungen, die deren Effekte auf Diagnostik, Therapie und Behandlungsergebnis der vorgestellten Schmerzpatienten untersucht hätten. In einem ersten Schritt soll daher die Hypothese überprüft werden, dass es durch die Vorstellung von Patienten mit chronischen Schmerzen in einer interdisziplinären Schmerzkonferenz zu einer Änderung des diagnostischen und/oder des therapeutischen Procederes kommt. Die zweite zu prüfende Hypothese ist, dass Patienten mit psychiatrischer Komorbidität von Patienten ohne psychiatrische Komorbidität abweichende Diagnostik- und Therapieempfehlungen erhalten. Methodik Für die Untersuchung wurden retrospektiv bei insgesamt 102 Patienten der offenen interdisziplinären Benjamin-Franklin-Schmerzkonferenz der Charité – Universitätsmedizin Berlin Angaben zu Diagnostik- und Therapieempfehlungen vor und nach der Schmerzkonferenz evaluiert. Zusätzlich wurden die soziodemographischen und medizinischen Merkmale des Untersuchungskollektivs dokumentiert. Die Einteilung der diagnostischen und therapeutischen Verfahren erfolgte in „invasive“, „psychologisch orientierte“ und „nicht psychologisch/somatische“ Kategorien. Die dokumentierten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vor und nach der Schmerzkonferenz wurden quantitativ erfasst und hinsichtlich statistisch signifikanter Unterschiede überprüft. Patienten „mit psychiatrischer Diagnose“ wurden zusätzlich getrennt mit der Fragestellung nach einer spezifischen Häufigkeit von „somatischen“ und „ psychologischen“ Diagnostik- und Therapieempfehlungen überprüft. Ergebnisse Die untersuchten Patienten hatten überwiegend die Schmerzdiagnosen „unspezifischer chronischer Rückenschmerz“ oder „chronischer Kopfschmerz“. Eine zusätzliche psychiatrische Diagnose hatten 43% der Patienten, insbesondere somatoforme und depressive Störungen vor der Schmerzkonferenz. Zwischen den Diagnostik- und Therapieempfehlungen vor und nach der Schmerzkonferenz zeigten sich statistisch signifikante Unterschiede in insgesamt sieben Kategorien von Diagnostik- und Therapieempfehlungen: 1\. schmerzpsychologische Exploration (p<0,001), 2\. stationäre psychosomatische Diagnostik (p<0,001), 3\. ambulante psychosomatische Diagnostik (p<0,001), 4\. stationäre psychosomatische Therapie (p<0,001), 5\. ambulante psychosomatische Therapie (p<0,001, 6\. Stress- und Schmerzbewältigungsstrategien (p<0,001), 7\. bildgebende Verfahren (p<0,001). Bei Patienten mit psychiatrischer Komorbidität ließen sich keine abweichenden Diagnostik- oder Therapieempfehlungen dokumentieren. Diskussion Die Ergebnisse der Untersuchung konnten zeigen, dass es bei den in der Benjamin Franklin Schmerzkonferenz vorgestellten Schmerzambulanzpatienten tatsächlich zu einer messbaren Veränderung von Diagnostik- und Therapieempfehlungen kommt. Dabei war die Empfehlung von psychosomatisch orientierten diagnostischen und therapeutischen Verfahren sowie von Stress- und Schmerzbewältigungsübungen in der Therapie der untersuchten Schmerzpatienten führend. Die genannten Verfahren wurden nach der Schmerzkonferenz signifikant häufiger empfohlen. Dieses erklärt sich möglicherweise dadurch, dass chronische Schmerzsyndrome und psychische Störungsbilder in gegenseitiger Wechselbeziehung zueinander stehen. Diesen Zusammenhang konnten auch vielfältige Studien zur interdisziplinären Schmerztherapie zeigen. Dabei scheint eine interdisziplinäre Evaluation der einzuleitenden diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen zielführend zu sein. Somit konnte gezeigt werden, dass die Ergebnisse unserer Pilotstudie weitgehend mit den Ergebnissen der Outcomestudien zur interdisziplinären Schmerztherapie vergleichbar sind. Dementsprechend scheint die Schmerzkonferenz ein integraler Bestandteil der interdisziplinären Schmerztherapie zu sein und Einfluss zu nehmen. Eine interessante Subgruppe der von uns untersuchten Stichprobe sind Patienten mit zusätzlicher psychiatrischer Komorbidität. Da diese möglicherweise klinisch problematischere Patienten darstellen, untersuchten wir, ob es tatsächlich zu messbar weniger diagnostischen und/oder therapeutischen Maßnahmen kommt im Vergleich zu Patienten ohne psychiatrische Diagnose. Unsere zweite Hypothese ließ sich jedoch nicht beweisen. Zwar wurden mehr invasive Verfahren bei Patienten ohne psychiatrische Diagnose oder dem Verdacht auf psychiatrische Diagnose in der Schmerzkonferenz beschlossen, ohne dass sich jedoch statistisch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Subpopulationen ergaben. Eine vergleichbare Tendenz ließ sich in der Indikationsstellung für eine Opioidtherapie zeigen. Diese Trends weisen darauf hin, dass die Schmerzkonferenz die psychiatrische Komorbidität der Schmerzpatienten berücksichtigt und daher sowohl weniger invasive Verfahren als auch weniger Opioidtherapien empfiehlt und sich damit an den Leitlinien orientiert. Die Untersuchungsergebnisse sollten prospektiv überprüft werden, um eine gute Dokumentationsqualität und geeignetere Parameter zu sichern. Insbesondere sollte der dringend notwendige Versuch unternommen werden, den Einfluss von Schmerzkonferenzen auf das Patienten-Outcome zu untersuchen.
Introduction and Hypothesis The knowledge about the complex and multifactorial etiology of chronic pain syndromes has led to the development of a multimodal pain therapy concept. This paradigm shift from a purely biological model of pain to a biopsychosocial understanding of illness and pain required to leave monodisciplinary thinking and therapeutic strategies. An important element of the interdisciplinary approach of chronic pain syndromes are so-called pain conferences, in which pain patients are presented to a plenum of doctors from several medical disciplines with the mission of (re)-evaluation of diagnostic and therapeutic measures. Due to the participation and perspectives of different disciplines, it is postulated that pain conferences would be able to have positive effects on diagnosis and therapy planning. Although pain conferences are an established instrument of interdisciplinary pain treatment, there are hardly any studies that have examined their effects on diagnosis, treatment and outcome. In a first step, therefore, the hypothesis should be verified that the multidisciplinary pain conference Charité Benjamin Franklin is able to change diagnostic and / or therapeutic procedures. The second hypothesis to be tested is that patients with psychiatric comorbidity receive different diagnostic and therapeutic recommendations in comparison to patients without psychiatric comorbidity. Methodology 102 patients of the Charité Benjamin Franklin interdisciplinary pain conference were evaluated on diagnosis and treatment recommendations before and after the pain conference. The classification of diagnostic and therapeutic procedures performed in "invasive", "psychologically oriented" and "non-psychological / somatic" categories. The documented diagnostic and therapeutic measures before and after the pain conference were quantified and checked for statistically significant differences. Results Statistically significant differences between the diagnosis and treatment recommendations before and after the conference have essentially been proved for psychological exploration and therapy. Patients with psychiatric comorbidity were not differently treated. Discussion The results of the investigation showed a significant change in diagnostic and therapeutic decisions. The recommendation of psychosomatic-oriented diagnostic and therapeutic procedures was predominant. These procedures were more often recommended after the pain conference. This may be explained by the fact that chronic pain syndromes and psychiatric disorders are in mutual interaction with each other. This connection could also show a variety of studies on interdisciplinary pain therapy. Thus it was shown that the results of our pilot study is broadly comparable with the results of outcome studies on interdisciplinary pain therapy. Accordingly, pain conferences seem to be an integral part of the interdisciplinary pain therapy and seem to have influence on diagnostic measures and therapy planning. Our second hypothesis could not be proven, however. Although more invasive procedures were recommended for patients without psychiatric diagnosis, there could not be shown a statistically significant difference between the two subpopulations. A similar tendency was shown in the indication for opioid therapy. These trends indicate that the pain conference considers the psychiatric comorbidity of pain patients, and suggests both less invasive procedures and less opioid therapy and is orientated at the guidelines. The survey results should be tested prospectively to ensure good quality documentation and appropriate parameters.