Belastende, insbesondere Ärger, Wut oder Kränkungen auslösende Lebensereignisse können zu erheblichen psychischen Beeinträchtigungen führen. Solche Anpassungsstörungen spielen im klinischen Alltag eine große Rolle, sind schwer zu behandeln und führen häufig zur Chronifizierung. Eine wichtige Frage ist, wie die Resilienz oder die Kompetenz zur Belastungsverarbeitung bei den Betroffenen verbessert werden können. Einen Ansatz dazu bieten Konzepte aus der Weisheitspsychologie, insbesondere das Berliner Weisheitsparadigma von Paul Baltes, der Weisheit als Expertise (im Sinne von Expertentum) im Umgang mit schwierigen Fragen des Lebens, wie zum Beispiel Fragen der Lebensplanung, Lebensgestaltung und Lebensdeutung definiert hat (Baltes & Smith, 1990). Ziele der kontrollierten Studie waren die Messung und Verbesserung der Weisheitskompetenzen von Patienten, die an einer Posttraumatischen Verbitterungsstörung (PTED) (Linden, 2003) leiden. Die PTED ist ein Subtyp der Anpassungsstörungen. Das verwendete Weisheitskonzept basiert hauptsächlich auf dem Berliner Weisheitsparadigma (Baltes & Smith, 1990), das um einzelne Kompetenzen aus der Dreidimensionalen Weisheitstheorie von Ardelt (2003) und aus dem Konzept der Emotionalen Intelligenz (Salovey & Mayer, 1990) auf insgesamt 9 Weisheitskompetenzen erweitert wurde. Die Weisheitskompetenzen wurden mit dem Ziel der Weisheitsmessung analog zum Vorgehen der Arbeitsgruppe von Baltes (Staudinger et al., 1994) operationalisiert und daraus ein Weisheitsrating zusammengestellt. Es wurde im Prätest zunächst die Höhe der Weisheitskompetenzen bei 50 Patienten mit PTED und 50 Patienten einer klinischen Kontrollgruppe verglichen. Dazu wurden den Patienten ein fiktives allgemeines Problem , und ihr persönliches Problem (Grund für die Klinikaufnahme) dargeboten und sie jeweils zu einer Reflexion ihrer problembezogenen Einstellungen und Handlungen angeregt. Diese Statements wurden hinsichtlich der Ausprägung der 9 Weisheitskompetenzen mit dem Weisheitsrating bewertet und zu einem Weisheitswert zusammengefasst. Anschließend erhielt jeweils die Hälfte der Patienten ein kurzes Weisheitstraining. Darin wurden in zwei Sitzungen in zwei aufeinander folgenden Durchgängen jeweils 4 Übungen durchgeführt. Geübt wurden (1) die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, (2) die Fähigkeit zur Unterscheidung von kurzfristig und langfristig unterschiedlich funktionalen Bewältigungsstrategien, (3) die Suche nach sinnstiftenden Perspektiven und (4) die Suche nach einem Vorbild für eine gute Problembewältigung. Nach dem Training wurden im Posttest die Weisheitskompetenzen aller Probanden jeweils erneut nach Darbietung eines allgemeinen und eines persönlichen Lebensproblems gemessen. Die Fragestellungen betrafen (1) die Höhe der Weisheitskompetenzen bei PTED und Kontrollgruppe, (2) das Ausmaß der Stabilität der Weisheitskompetenzen, (3) die Trainierbarkeit von Weisheitskompetenzen und (4) die Höhe des Trainingserfolges. Die Reliabilität des Weisheitsratings betrug r = 0,79. Es fanden sich bei der Kontrollgruppe auf der von 0 (schlecht) bis 4 (sehr gut) reichenden Skala der möglichen Weisheitswerte Mittelwerte von 2,07 beim allgemeinen Problem und 2,05 beim persönlichen Problem . Bei den PTED- Patienten lagen die Weisheitswerte mit 1,55 (allg. Problem) und 1,17 (pers. Problem) signifikant niedriger. Beim Vergleich von Erst- und Wiederholungsmessung nach einer Woche sind ein r = 0,76 (allg. Problem) und r = 0,86 (pers. Problem) ein Indikator für die Stabilität der Weisheitskompetenzen über die Zeit. Das Weisheitstraining führte bei PTED- Patienten zu einer Steigerung des Weisheitswertes von 0,38 beim allgemeinen und 0,57 beim persönlichen Problem, während die Kontrollgruppe mit einer Steigerung von 0,02 (allg. Problem) bzw. 0,03 (pers. Problem) praktisch unverändert blieb. Beim Vergleich von PTED und Kontrollgruppe nach dem Training ergaben sich mit 1,98 bzw. 2,20 (allg. Problem) und 1,87 bzw. 2,19 (pers. Problem) annähernd gleich hohe Weisheitskompetenzen in beiden Gruppen. Die Untersuchung erlaubt folgende Schlussfolgerungen: Das in dieser Arbeit entwickelte Weisheitsrating ist praktikabel und reliabel. PTED-Patienten zeigen relativ zu den Kontrollpatienten niedrigere Weisheitswerte. Dabei bleibt offen, ob dies ein Vulnerabilitätsfaktor oder eine Folge der Belastungsreaktion ist. Das Weisheitstraining führte praktisch zu einer Angleichung der Weisheitswerte von PTED-Patienten und Kontrollgruppe. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass mit Hilfe des Weisheitstrainings keine neuen Weisheitskompetenzen erworben worden sind, sondern dass im Sinne einer Reaktivierung vorhandener Ressourcen eine durch das Trauma ausgelöste Blockade von Weisheitskompetenzen aufgehoben wurde. Die Untersuchung eröffnet durch die Berücksichtigung von Konzepten aus der Weisheitspsychologie eine neue psychotherapeutische Behandlungsperspektive bei PTED und möglicherweise anderen Anpassungsstörungen und stellt damit die Grundlage für eine umfassendere Weisheitstherapie dar.
The aim of the present controlled trial was the assessment and enhancement of wisdom-related competences of patients who suffer from posttraumatic embitterment disorder (PTED) (Linden, 2003), a special form of adjustment disorder. In reference to the five-dimensional conceptualization of wisdom by the Berlin Wisdom Paradigm (Baltes & Smith, 1990), to the three-dimensional wisdom theory by Ardelt (2003), and the theoretical concept of emotional intelligence (Salovey & Mayer, 1990), a set of nine criteria to assess wisdom- related performance was developed. A short wisdom training for the enhancement of several wisdom-related competences like change of perspective, meaning making or finding a role-model of good problem solving, was designed. In accordance with the work of Baltes and colleagues (Staudinger et al., 1994) the method of irresolvable problems was used to assess wisdom-related performance before and after the training. PTED-patients showed higher wisdom scores after the training while there was no change in the control group. The study reveals potential treatment perspectives for PTED and other adjustment disorders. Moreover, it constitutes the foundation for a comprehensive wisdom therapy.