Zusammenfassung
Sowohl Vögel als auch Nagetiere sind für Borrelia burgdorferi sensu stricto als Reservoirwirte kompetent. Trotzdem kommt diese Genospezies in wirtssuchenden Zecken in Europa weit seltener vor als die ebenfalls humanpathogenen Spirochäten B. afzelii und B. garinii. Bei der Übertragung durch die wirtsunspezifische Zecke Ixodes ricinus sollte eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass B. burgdorferi s.s. auf kompetente Wirte übertragen wird, höher sein als für die anderen Genospezies, die nur an bestimmte Wirte angepaßt sind (Levine et al. 1985, Olsen et al. 1995, Richter et al. 2000). Ebenfalls würde man erwarten, dass Zecken vergleichsweise häufiger mit B. burgdorferi s.s. doppelt-infiziert sind. Die daraus zu folgernde höhere Prävalenz von B. burgdorferi s.s. in wirtssuchenden Zecken läßt sich aber bei Freilanduntersuchungen nicht bestätigen. B. afzelii ist im Stadtpark von Göttingen viermal und B. garinii sogar zehnmal häufiger in Nymphen zu finden als B. burgdorferi s.s. Möglicherweise wird das unterschiedlich häufige Vorkommen von B. afzelii und B. burgdorferi s.s. durch bestimmte Eigenschaften ihrer Wirte beeinflußt.
Die Reservoirkompetenz einfach- und mehrfach-infizierter Nagetiere und die Übertragungshäufigkeit und –geschwindigkeit von B. afzelii und B. burgdorferi s.s. nach Mehrfachpassagen sollte über den Einfluß der Wirte auf die Prävalenz von B. burgdorferi sensu lato in wirtssuchenden Zecken Aufschluß geben. Waldmäuse, Apodemus sylvaticus, und Mongolische Wüstenrennmäuse, kurz Gerbil, Meriones unguiculatus, wurden mittels Nymphen entweder mit B. afzelii oder B. burgdorferi s.s. infiziert. Die Infektiösität dieser Wirte für Zecken wurde vergleichend durch Xenodiagnosen über einen Zeitraum von acht Monaten bestimmt. Dabei waren die mit B. afzelii-Spirochäten infizierten Wirte für Vektorzecken infektiöser als die mit B. burgdorferi s.s. infizierten Wirte, und mehr Zecken nahmen Spirochäten von Gerbilen auf als von Waldmäusen. Waldmäuse waren hingegen länger infektiös für Zecken als Gerbile.
Wanderratten, Rattus norvegicus, wurden ebenfalls mittels monoinfizierter Nymphen mit jeweils einer der drei humanpathogenen Genospezies infiziert. Bei anschließenden Xenodiagnosen waren mit B. afzelii-infizierte Ratten anfänglich stärker infektiös für Vektorzecken als mit B. burgdorferi s.s.-infizierte Ratten. Dagegen blieb die Infektionsrate der xenodiagnostischen Zecken mit B. burgdorferi s.s.-infizierter Ratten nach sieben Monaten auf einem höheren Niveau. Nach einer Re-Infektion mit derselben Genospezies stieg die Infektiösität für Zecken wieder an, die Ratten hatten also keine Immunität gegen B. burgdorferi s.l. entwickelt. Wanderratten infizierten über den gesamten Untersuchungszeitraum eine ähnliche Anzahl von Zecken mit B. afzelii und B. burgdorferi s.s., aber sehr viel weniger Zecken mit B. garinii Serotyp 6.
Um das Verhalten der Genospezies bei Mehrfachinfektionen zu untersuchen, wurden verschiedene Nagetiere mit B. afzelii oder B. burgdorferi s.s. infiziert und zu bestimmten Zeitpunkten mit der jeweils anderen Genospezies superinfiziert. B. afzelii dominierte in xenodiagnostischen Zecken, die an superinfizierten Waldmäusen oder Gerbilen gesogen hatten. Nur unter bestimmten Bedingungen konnte B. burgdorferi s.s. bei den Gerbilen in den Vektorzecken überwiegen. Dazu musste B. burgdorferi s.s. diese Wirte im chronischen Stadium der B. afzelii-Erstinfektion superinfiziert haben. Die absolute Antikörpermenge im Serum der superinfizierten Wirte korrelierte dabei nicht mit der vorherrschenden Genospezies, die sie auf xenodiagnostische Zecken übertrugen.
Anschließend wurde untersucht, welche Genospezies bei adulten Zecken dominiert, wenn die Larve und Nymphe an unterschiedlich infizierten Wirten gesogen hatte. Die dominierende Genospezies in einfach infizierten adulten Zecken hing von der Wirtstierart ab, an der sie als Nymphen gesogen hatten.
Um die Genospeziesverteilung in der Zecke nach einer zweiten Wirtspassage des Erregers zu ermitteln, wurden die von Gerbilen stammenden xenodiagnostischen Zecken der Superinfektion, die teilweise mit B. afzelii, B. burgdorferi s.s. oder mit beiden Genospezies infiziert waren, an Hausmäuse, Mus musculus, angesetzt. Diese Wirte infizierten ihre xenodiagnostischen Zecken überwiegend mit B. afzelii. Wenn die Wirte der 1. Passage hauptsächlich B. burgdorferi s.s. auf ihre Zecken übertragen hatten, war diese Genospezies in den xenodiagnostischen Larven der Hausmäuse häufiger nachweisbar, in den resultierenden Nymphen jedoch nur vereinzelt. Nur von einer Hausmaus nahmen die Zecken mehr B. burgdorferi s.s.- als B. afzelii-Spirochäten auf.
Die Dominanz von B. afzelii in wirtssuchenden Zecken im Vergleich zu B. burgdorferi s.s. ist möglicherweise auch durch eine schnellere Übertragung von der infizierenden Nymphe auf ihren Wirt bedingt. Infizierte Nymphen durften für eine definierte Dauer an haarlosen Hausmäusen saugen, deren Infektionsstatus zwei Wochen später untersucht wurde. I. ricinus übertrug keine der beiden Genospezies vor 24 h nach Saugbeginn auf den Wirt. Die Übertragung von B. afzelii war im Vergleich zu der von B. burgdorferi s.s. aber effizienter.
Lyme-Spirochäten, die auf bestimmte Reservoirwirte in der Natur spezialisiert sind, so wie B. afzelii, sind besser an diese Wirte angepaßt als weniger spezialisierte Erreger, so wie B. burgdorferi s.s., und sie sind besser an diese Wirte als an Laborwirte angepaßt. Der Spezialist B. afzelii wird effizienter übertragen als der Generalist B. burgdorferi s.s. |